Protokoll Workshop Perspektiven der Riemer-Sammlung am 14.11.2014

Teilnehmer: Karina Austermann (Stadtsprecherin Wittenberg), Horst Dübner (Vorsitzender Kulturausschuss und Vorsitzender Stadtratsfraktion Die Linke Wittenberg), Dr. Peter Giere (Naturkundemuseum Berlin), Klaus Glöckner (Leipzig), Dr. Christiane Hennen (Wittenberg, Moderation), Dr. Reinhild Hugenroth (Kreisvorsitzende Bündnis 90/DIE GRÜNEN Wittenberg), Mike Jessat (Mauritianum Altenburg), Andreas Korschefsky (Wittenberg), Prof. Dr. Carsten Niemitz (Schirmherr Freundeskreis Riemer-Sammlung, Mölln), Reinhard Rauschning (Vorsitzender Stadtratsfraktion SPD Wittenberg), Dr. Birgit Scheps-Bretschneider (Grassi-Museum für Völkerkunde Leipzig), Manfred Schildhauer (Stadtrat CDU Wittenberg), Dr. Karla Schneider (Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen Halle), Nils Seethaler (Berlin), Michael Solf (Freundeskreis Riemer-Sammlung, Wittenberg), Dr. Frank Steinheimer (Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen Halle), Heinz Thieme (Vorsitzender Freundeskreis Weber-Sammlung, Wittenberg), Dr. Volker Werner (Stadtrat FREIE WÄHLER Wittenberg), Andreas Wurda (Direktor Städtische Sammlungen Wittenberg)

Motivation: Warum veranstaltet der Freundeskreis der Julius-Riemer-Sammlung einen Workshop?

Nachdem inzwischen eine natur- und völkerkundliche Ausstellung im Zeughaus wohl gesichert sei, bleibe festzuhalten, dass erstens neben einer Diskussion über die gestalterischen Gesichtspunkte der Neuausstellung eine inhaltliche Diskussion – obwohl von mehreren Seiten dringend gewünscht – bisher kaum zustandegekommen sei, und dass zweitens das mit der Ausrichtung der Ausstellung verbundene Schicksal der Sammlung selbst in mancherlei Hinsicht mehr Aufmerksamkeit verdiene.
Sehe man von den rein gestalterischen Gesichtspunkten der Einrichtung des Dachgeschosses im Zeughaus ab, lasse sich nur konstatieren, dass man über die Feststellung, dass man weiter miteinander reden müsse, bisher kaum hinausgekommen sei.

Symptomatisch für die derzeitige Situation sei das letzte Stadtgespräch: Trotz bereits Anfang des Jahres bekundetem Wunsch, die Ausstellungskonzeption in erster Linie inhaltlich zu diskutieren, seien inhaltliche Punkte auf dem Stadtgespräch ausdrücklich ausgeklammert worden: Entsprechende Hinweise würden lediglich gesammelt, um in einem nichtöffentlichen Verfahren über deren Relevanz zu entscheiden. Der eine Beteiligung von Interessenten außerhalb der Verwaltung und ihrer Vertragspartner fordernde Stadtratsbeschluss zur Sache habe offenkundig eine ganz andere Zielrichtung gehabt.

Über die bloße Form des Verfahrens hinaus sei unklar, ob an der folgenden Abwägung Fachleute beteiligt würden: Bisher sei eine fachkundige Begleitung der Ausstellung über die durch Werkverträge geregelte, bloße Auswahl von Leitobjekten hinaus nicht feststellbar – weder an der Erstellung der Konzeption der Ausstellung noch an den begleitenden Beratungen des inzwischen aufgelösten Wissenschaftlichen Beirates seien Naturkundler oder Ethnologen beteiligt gewesen.

Abgesehen von der Ausstellungsproblematik gebe es eine Reihe weiterer wesentlicher Themen, die wegen des gesetzten Rahmens aus der Diskussion bisher fast ganz ausgeschlossen gewesen seien und die sich um die zentrale Frage gruppierten, was vor dem Hintergrund der jedenfalls nominell enormen Mittel für die Städtischen Sammlungen eine natur- und völkerkundliche Sammlung für Wittenberg und die Region leisten solle und könne. Dazu gehörten solche Themen wie die Einstellung wissenschaftlicher Mitarbeiter, zu nutzende Fördermittel, die inhaltliche Ausrichtung der Sammlung und die Begleitung der Sammlung durch einen Beirat und geeignete Kooperationen, um die Sammlung zu einem lebendiges Zentrum für diejenigen Sachbereiche zu machen, die vom Naturschutz bis zur politischen Bildung an eine natur- und völkerkundliche Sammlung zu knüpfen sind.

Selbstverständlich könne man jede Diskussion um die Sammlungen nach Lage der Dinge nur mit allen relevanten politischen Kräften der Stadt, und in erster Linie des Stadtrates, gemeinsam führen, weshalb man denjenigen herzlich danke, die zu diesem Workshop miteingeladen haben.

 

 

Ergebnisprotokoll: Angesprochene Themen – Sichtweisen – Diskussionen *1

1. Was macht die Riemer-Sammlung bedeutend, was macht sie bedeutend für Wittenberg? Welche thematischen Schwerpunkte sind für die Sammlung sichtbar und denkbar?
 
Zur Frage wünschenswerter Schwerpunkte einer Wittenberger natur- und völkerkundlichen Ausstellung wird vor allem auf zwei Komplexe Bezug genommen: die außergewöhnlich reichhaltige Natur der Region einerseits und die mit Hilfe der Sammlung darstellbaren Globalisierungsprozesse andererseits:

Die Wittenberger Region besitze eine außerordentlich wichtige Bedeutung zwischen den Verbreitungsgebieten nördlicher Arten einerseits und südlicher Arten andererseits. Auch botanisch und geologisch besitze die Region einige Bedeutung, die sich in einer Ausstellung spiegeln solle.
Im Übrigen sei eine Einrichtung wünschenswert, die sich auch als Plattform, Unterstützer und Sammelpunkt Naturinteressierter verstehe und den Naturschutz (bis hin zu möglichen Exkursionen) unter ihre Themen aufnehme.

Als einzige völkerkundliche Ausstellung in Sachsen-Anhalt, die im Übrigen in der Forschung eine beachtliche Rolle spiele, müsse sich die Sammlung globalen Fragestellungen öffnen. Hier biete das Nebeneinander naturkundlicher und ethnologischer Sammlungen wie nur an wenigen Orten Deutschlands die Möglichkeit, die Darstellung globaler Prozesse von Klima- und Kulturwandel, dem Verschwinden von Arten und Kulturen, von Hybridisierungsprozessen in den Zusammenhang des in der Region in einzigartiger Dichte vertretenen Weltkulturerbes einzubetten und das Attraktivitätspotential der Stadt durch interdisziplinäre Perspektiven, etwa durch Berücksichtigung des ethnologischen Themas „Weltreligionen“ zu erhöhen.

Die Beziehung von Mensch und Klima sollte sowohl durch aktuelle Bezüge (wie etwa zur Wiederansiedlung des Wolfes in der Region) als auch durch Rekurs auf die Geschichte der Beziehung von Mensch und Natur in die Arbeit der Sammlung und Ausstellung Eingang finden: So eigneten sich Objekte ausgestorbener Tiere (wie des Riesenalks) zur Auseinandersetzung mit der ethischen Frage des Umgangs mit der Natur als auch (mit Blick auf die in der Sammlung erhaltenen Reste eines Höhlenbären) etwa mit dem Problem der Ökologie der Eiszeit.*2

Die Sammlung biete reiche Möglichkeiten der Forschung auf ihren Schwerpunkten, so etwa zu molekulargenetischen oder primatologischen Fragen*3 oder zu Problemen der Besiedlungsgeschichte der Südsee. Die in der Sammlung vertretenen völkerkundlichen Objekte repräsentierten einen auch für die Ursprungsländer großen Wert, mit denen man inzwischen gemeinsam an der Aufarbeitung der in den Museen vorhandenen Objekte arbeite.

 

2. Was braucht eine erfolgreiche Sammlung?

Eine Ausstellung sei nur erfolgreich mit einer aktiven Sammlung im Hintergrund und als forschendes Museum. Hier käme es in erster Linie auf qualifizierte Kustodie an, die auch Anfragen fachgerecht beantworten könne. Die Sammlung müsse wissenschaftlich betreut werden – und zwar schon vor Eröffnung der Ausstellung. Nur so könne die Sammlung auch ihrem Bildungsauftrag gerecht werden.

In Auseinandersetzung mit dem Landessammlungskonzept müsse man Schwerpunkte bilden, wozu sich in Wittenberg möglicherweise eine Konzentration auf Primaten anbiete. Nicht wünschenswert sei eine Konzentration sämtlicher Sammlungen in nur einigen wenigen zentralen Institutionen in den Ländern.

 

3. Exkurs: Inventur

Es wird festgestellt, dass es bisher keine Inventur in den Städtischen Sammlungen gegeben habe. Selbstverständlich seien die Bestände der Sammlung aber in Katalogen verzeichnet.

In der Diskussion stellt sich heraus, dass die Inventurpraxis in den Museen sehr unterschiedlich ist. Während an einem Beispiel gezeigt wird, dass eine Inventur einschließlich einer Fotodokumentation gerade erfolgreich mit dem Umzug einer Sammlung verbunden werden könne und das Grassi-Museum in Leipzig sogar alle zwei Jahre (bei über 600.000 Bestandsnummern) eine vollständige Inventur durchführe, sei eine regelmäßige und vollständige Inventur bei sehr umfangreichen Teilbeständen großer Einrichtungen (wie des Berliner Naturkundemuseums mit mehreren Millionen Objekten) nicht immer die Regel.

Wie groß vergleichsweise die natur- und völkerkundlichen Sammlungen der Stadt Wittenberg seien, sei den Städtischen Sammlungen unbekannt und auch nicht in ungefährer Größenordnung zu ermitteln.

 

4. Exkurs: Magazin

Es wird vorgetragen, dass der in Transportbehältnissen verpackte „liegende“ Bestand eines Magazins einen etwa anderthalb Mal höheren Aufwand gegenüber einer herkömmlichen Magazinierung verursache.

Auf entsprechende Fragen wird festgestellt, dass hinsichtlich einer Unterbringung der nicht ausgestellten Sammlungsteile in einem üblichen Depot derzeit keine Aktivitäten und Überlegungen zu verzeichnen seien. Während einerseits einige vom Gesundheitsamt als endgültiger Lösung der Magazinfrage ausgegangen sind, wird andererseits ein neues Angehen der Magazinfrage vorgeschlagen. Möglicherweise eigne sich das ehemalige KTC als Depot der Städtischen Sammlungen.

Stadtrat und Bürgermeister seien gefordert, auf frühere Beschlüsse zur Depotfrage zurückzukommen.

 

5. Beiträge zur Diskussion der Einrichtung des Zeughauses

Es wird kritisiert, dass Ausgangspunkt der Ausstellungskonzeption kein Vollinventar der Sammlung gewesen sei, was im Ergebnis dazu führe, dass zum einen themenübergreifende Fragestellungen nicht berücksichtigt worden und zum anderen weite Bereiche der Ausstellung rein gestalterisch und ohne Rücksicht auf tatsächliche Bestände der Sammlung beplant worden seien. So fänden sich trotz entsprechend ausgewiesener Ausstellungsbereiche kaum (noch) asiatische, amerikanische und europäische Objekte in der völkerkundlichen Sammlung – im Ergebnis sei eine Reihe der ausgewiesenen Vitrinen möglicherweise gar nicht bestückbar.

Auch wenn der Bezug auf den Sammler Riemer und die Fülle der für die Ausstellung geplanten Objekte zu loben seien, sei es besser, auch aktuelle Fragestellungen wie den globalen Klima- und Kulturwandel zu berücksichtigen.

Kritisiert wird die Aufstellung eines Karussells in der Ausstellung, die der Sammlung einen unpassenden Schaustellercharakter verleihe. Das werde weder den Absichten des wissenschaftlich vielseitig interessierten Sammlers Riemer noch der Sammlung selbst gerecht.
Statt eines Memorialmuseums sollten aktuelle Themen den Mittelpunkt der Anstrengungen bilden.

Das – soweit es das Dachgeschoss betrifft – bisher nur als Ideenskizze zu verstehende Drehbuch biete bis zur tatsächlichen Realisierung der Ausstellung noch Zeit und Raum für eine angemessene Anpassung des Konzeptes und die Einbeziehung von geeigneten (wie den oben genannten) Ideen und Themen.

 

6. Was kann der Freundeskreis als Förderverein zum Erfolg der Sammlung beitragen?

Der Freundeskreis der Riemer-Sammlung sei  in der Lage, den Städtischen Sammlungen zur Vervollständigung und Hebung der Qualität der afrikanistischen Abteilung ca. 40 bis 50 Statuen der westafrikanischen Lobi zu überlassen. Über Einzelheiten der Überlassung sei noch mit den Verantwortlichen von städtischer Seite zu sprechen. Die sinnvolle Erweiterung der Sammlung und das Engagement des Freundeskreises werden von vielen ausdrücklich begrüßt.

 

7. Wie engagieren sich die Städtischen Sammlungen beim Erhalt der natur- und völkerkundlichen Sammlung?

Gelegentlich einer Anmerkung zur zweifelhaften Echtheit des auch für die Ausstellung vorgesehenen Hautstückes einer Stellerschen Seekuh wird von Seiten der Naturkundlichen Sammlungen der MLU erneut Hilfe bei der Lösung des Problems angeboten. Die Städtischen Sammlungen selbst haben mit Hilfe eines Max-Planck-Institutes bereits eine Untersuchung zur Echtheit des Hautstückes eingeleitet. Das Hautstück sei – anders als noch im Drehbuch dargestellt – 1872 über eine Bremer Schiffsreederei in die Sammlung Riemers gelangt.

Die Städtischen Sammlungen arbeiteten mit Präparatoren und Konservatoren zusammen, die die einzelnen Teile der Sammlung regelmäßig prüften, und pflegten eine Reihe von Kooperationen, die auch der konservatorischen und präparatorischen Fürsorge für die Sammlung dienten. So seien beispielsweise die Mumien der Sammlung computertomographisch untersucht worden.

 

8. Bürgerbeteiligung

Es wird von mehreren Seiten vorgetragen, dass das bisherige Verfahren zur Beteiligung der im letzten Stadtratsbeschluss zur Sache genannten Interessenten auch aufgrund eines stockenden Informationsflusses bisher nicht zu einer echten Zusammenarbeit geführt habe. Bürgerbeteiligung setze Kommunikation auf Augenhöhe und ein strukturiertes, kontinuierliches Gespräch voraus.
Die Stadt solle konstruktives bürgerschaftliches Engagement verbindlicher einbeziehen.
In der Frage der Ausstellung sei die Stadt aufgefordert gewesen, selbst aktiv zu werden, eine Erwartung, der sie – mit Blick auf eine stark verkürzte Beteiligungsfrist für inhaltliche Hinweise – nur unzureichend nachgekommen sei.

Die Stadt selbst orientiere sich in der Frage der Bürgerbeteiligung grundsätzlich an den Auslegungs- und Beteiligungsregeln zur Bauleitplanung. Hinweise würden aufgenommen und bei den Entscheidungen berücksichtigt. Die Vorstellung der Ausstellungspläne habe zu vergleichsweise nur geringer Resonanz geführt.

Dazu wird festgestellt, dass zumindest diejenigen, die sich in dieser Frage geäußert hätten – so das Forschungsprojekt „Ernestinisches Wittenberg“, das „Haus der Geschichte“ und der Freundeskreis der Riemer-Sammlung – als Aktive in den Angelegenheiten der Städtischen Sammlungen stärker beteiligt werden sollten. Die Zeit bis zur Umsetzung der Ausstellungen solle genutzt werden, die vorgetragenen Ideen in die Diskussion einzubeziehen.

Eines der Instrumente einer Beteiligung könne die Verwirklichung eines bereits mehrfach diskutierten Museumsbeirates sein, zu deren Mitgliedern in jedem Fall auch die o. g. Institutionen zählen sollten.

 

9. Zum Namen des künftigen Museums

Es wird vorgeschlagen, nach dem Vorbild anderer Häuser wie dem Berliner „Neuen Museum“ und unter Würdigung der Bedeutung der natur- und völkerkundlichen Sammlungen, die den größeren Teil der im Zeughaus präsentierten Objekte ausmachen werden, unter dem Dach des „Zeughauses“ nominell zwei Museen zu vereinen, die nebeneinander und miteinander ausstellen und arbeiten: Ein „Museum für Stadtgeschichte“ und ein „Riemer-Museum für Natur- und Völkerkunde“.


*1) In der sich aus den Gesprächen während des Workshops ergebenden Reihenfolge.

*2) Prof. Niemitz stellt in Aussicht, zur Illustration der Reste des Höhlenbären eigene Objekte zur Komplettierung der Bestände der Sammlung zur Verfügung zu stellen wie auch eines Eisbärenschädels zum Größenvergleich mit dem Höhlenbären.

*3) Prof. Niemitz stellt in Aussicht, einen von ihm auf Borneo selbst gesammelten Schädel einer von ihm erstmals beschriebenen Primatenart der Sammlung zur Verfügung zu stellen.